Kinderarmut

Armutssensibles Handeln in Kindertagesstätten

Kinderarmut ist in Deutschland ein Phänomen, dass bedauerlicherweise an Bedeutung gewinnt. Glücklicherweise gewinnt es seit einigen Jahren auch an Beachtung, nachdem es jahrelang vom Armuts-und Reichtumsbericht der Bundesregierung negiert oder verschleiert wurde. Somit erfahren auch Präventionsstrategien höhere Aufmerksamkeit und die Frage nach dem Umgang mit betroffenen Menschen, die vor allem in Großstädten und anderen Ballungsgebieten leben, rückt in den Fokus der Betrachtung.

Kritiker merken immer wieder an, in einem wohlhabenden Land wie Deutschland gäbe es gar keine Kinderarmut, die sozialen Netzwerke seien hierzulande so dicht geknüpft, dass niemand hindurch rutschen müsse, weil nicht sein darf, was nicht sein kann.
Bilder wie wir sie aus anderen Teilen der Welt medial transportiert bekommen, wo Kinder in absoluter Armut lebend weder ein Zuhause noch ausreichend Nahrung zur Verfügung, noch Zugang zu medizinischer Versorgung und/oder Bildungsangeboten hätten, seien hierzulande nicht zu sehen. Hier müsse kein Kind in einer Wellblechhütte hausend Hunger leiden und für seinen Überleben betteln, die Müllkippen der Großstädte nach Essbarem durchsuchen, sich versklaven oder prostituieren.
Und doch wächst die Zahl der in Armut lebenden Kinder auch in Deutschland immer weiter. Mehr und mehr Kinder leben in relativer Armut, das heißt sie haben in ihren Familien weniger zur Verfügung als 60% des meridianen Familieneinkommens des Landes. Sie können also nicht in gleichem Maße am gesellschaftlichen und sozialen Leben teilnehmen, wie nicht betroffene Kinder. Und dies obwohl sie von Sozialleistungen profitieren, die offensichtlich aber nicht mehr ausreichend sind, um ein gleichwürdiges Leben mit gerechten Teilhabechancen zu erleben.
Kinderarmut kommt nie isoliert daher, Kinderarmut ist immer auch Familienarmut, die das soziale Umfeld eines Kindes im Sinne des systemischen Familienansatzes betrifft.
Auch die Forschung hat sich in den letzten Jahren für dieses Thema interessiert, vor allem für die Folgen von Armut. Nachgewiesen wurde eine sogenannte multiple Deprivation, die armutsbelastete Kinder erfahren, Armut hat also vielfältige, im Zusammenhang stehende Folgen. Unter Anderem wurden Zusammenhänge von Armutsbelastung mit geringem Bildungserfolg, negativen gesundheitlichen Folgen, belasteten Wohnsituationen, verringerter Chance an politischer und gesellschaftlicher Teilhabe bis hin zu erhöhter Gefahr der Kindeswohlgefährdung und der Kriminalitätsrate nachgewiesen.
Sicher sind Kindertagesstätten nicht die Orte, die dieses Dilemma lösen können und müssen. Aber es sind Orte, die tagtäglich mit betroffenen Kindern und Familien konfrontiert und in Kontakt sind. Gleichzeitig sind pädagogische Institutionen Orte, die der Manifestierung der Auswirkungen von Armutsbelastung früh entgegenwirken können. Sie können beispielweise einwirken auf die Sprachentwicklung der Kinder, auf Sozialverhalten und Integration, sie können Resilienzförderung betreiben und positiv auf Bildungsabschlüsse einwirken.
Wie aber sollen pädagogische Fachkräfte mit betroffenen Familien umgehen? Das Problem offen ansprechen, und die Familien möglicherweise öffentlich stigmatisieren? Oder lieber schweigen, und im Sinne der Gleichbehandlung Aller nicht weiter darauf eingehen?
Was können pädagogische Einrichtungen, Kindergärten, Schulen und erst recht Familienzentren tun, um eine armutssensible Haltung zu praktizieren, zumal sie selbst ja häufig mit eingeschränkten Ressourcen ausgestattet sind? Was gehört dazu, worauf muss geachtet werden?
Chancengleichheit darf nicht der Maßstab sein. Chancengleichheit geht davon aus, dass nur alle Menschen die gleichen Startchancen bekommen müssten, damit es gerecht zugeht und negiert dabei, dass eben nicht alle Menschen gleich sind, und unterschiedliche Lebenswelten aufweisen. Sprechen wir lieber von Chancengerechtigkeit, um zu gewährleisten, dass nicht alle mit unterschiedlichen Voraussetzungen am gleichen Startpunkt los müssen, sondern alle eine gerechte Chance brauchen, das Ziel auch zu erreichen.
Wir thematisieren in unseren Teamfortbildungen entsprechend „armutssensible Handlungsweisen“, klären auf zu verschiedenen Formen von Armut, informieren über Ursachen von Armut und die Folgen dieser Lebenssituationen für Kinder und ihre Familien, sowohl mittelbar als auch unmittelbar. Wir stellen unterschiedliche Armutsphänomene dar, orientieren uns dabei eng an den Erfahrungen der teilnehmenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, versuchen Armutstypologien zu erstellen und zu erhellen. Die Voraussetzung für armutssensibles Handeln ist ein Verständnis dafür, ein Verständnis für Ursachen, Folgen und Phänomene.
Dann können wir gemeinsam Strategien erarbeiten, sowohl präventiv als auch Strategien für den armutssensiblen Umgang mit betroffenen Menschen, ohne die Menschen im täglichen Umgang zu beschämen, abzuwerten oder zu stigmatisieren. Hier steckt der Teufel allzu oft im Detail. Schlussendlich gilt es die Folgen von Armut nicht nur abzumildern, sondern es geht auch darum, wie Familien wirksam unterstützt werden können, sich aus dem Kreislauf der Vererbung von Armut zu lösen und nachhaltige Veränderungen in den eigenen Lebenswelten zu erwirken. Kinderbeteiligung ist hierbei ein wesentliches Mittel zur Resilienzstärkung der beteiligten Kinder.

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